Pressestimmen zu Preisträgern und Sonderpreisträgern InTakt 2009
nmz vom Februar 2009:
Jeder Mensch kann Musik machen
Förderpreis InTakt der Miriam-Stiftung an Robert Wagner verliehen
Seit 2004 gibt es in Zusammenarbeit mit der Universität Dortmund den „Förderpreis InTakt“ der Miriam-Stiftung. Gegründet wurde die Stiftung zur Erinnerung an eine sehr früh verstorbene junge Frau mit Down-Syndrom namens Miriam, durch deren lebeszugewandte Art sich viele leidgeprüfte Menschen aufgefangen und ermutigt fühlten.
Der Förderpreis InTakt baut diesen Gedanken aus, indem er alljährlich musikkulturelle Aktivitäten von und mir Menschen mit Behinderungen auszeichnen möchte, ferner Qualitätsmaßstäbe für die musikalische Arbeit mit Menschen mit Behinderung setzt und dazu beträgt, dass das Bild vom Menschen mit Behinderung sich in der Gesellschaft ändert.
2008 waren die Preisträger die 4. Klasse der Oberlinschule Vollmarstein (Förderschule für körperliche und motorische Entwicklung) mit ihrem bezaubernden Projekt „beinahe die Zauberflöte“ und Robert Wagner (Leiter der Musikschule Fürth und des berufsbegleitenden Lehrganges des VdM „Instrumetalunterricht für Menschen mit Behinderung an Musikschulen“ in der Akademie Remscheid). Wagner erhielt den Einzelpreis für „die Umsetzung musikpädagogischer Konzeptionen zur Förderung musikalischen Handelns für Menschen jeden Alters sowie für seinen herausragenden Einsatz zur Integration von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung“, so die Jurybegründung.
Sein Vortrag anlässlich der Verleihung führte unmittelbar in sein Denken ein: Ihn würde es freuen, dass mit dieser Auszeichnung nicht – wie üblich – das „spektakuläre“, sondern das „Normale“ gewürdigt worden sei; nicht das Feuerwerk, das Einmalige, sondern die kleinen Schritte und die tägliche Arbeit. Das was sich eigentlich in der pädagogischen Arbeit „von selbst versteht“.
Aber was ist das Selbstverständliche? Bezogen auf den Musikunterricht heißt das nach Wagner: „Es muss selbstverständlich nicht jeder Mensch Musik selber machen, aber wenn er es möchte und tut, sollte jeder Musizierende für sich-selbst-verständlich musizieren können.“
Dieser Gedanke beinhaltet viel (Unkonventionelles): Er spricht direkt die Selbstverantwortung der Schüler an und fordert deren Bereitschaft, ihre Möglichkeiten kennenlernen und sich engagieren zu wollen. Er verlangt vom Pädagogen eine immer wieder lebendige Reflektion seines fachkompetenten Arbeitens, seines Umganges mit dem Schüler sowie mit sich selbst. Höchstes Erzeihungsziel liegt für Wagner in der individuellen Sinnfindung eines jeden Schülers durch dessen Teilhabe an musikalischen und damit einhergehenden sozialen Prozessen; erreichen kann er das durch die Summe positiver Erfahrungen mit gutbegleiteten Lernwegen und gut durchdachten Materialien.
Diese Haltung setzt Wagner fort in der konsequenten Einrichtung seines selbst-erstellten Notenmaterials: Allen Mitspielern gibt er gleiche Ausgangsnotenvorlagen, ein „Leadsheet“, wie im Jazz üblich. Es wird eine Melodie mit viertaktigem Zeilenumbruch (entsprechend ihrer Melodiebögen) in ein zweistimmiges Notensystem notiert, wobei die untere Zeile zunächst frei bleibt für spätere Eintragungen. Der Zwischenraum wird durch Akkordsymbole ergänzt. Dadurch ergeben sich von vorn herein zwei grundsätzliche Möglichkeiten der Spielbeteiligung: Melodie in 4-Takt-Einheiten (melodische Aufgaben) und Begleitung (melodiebegleitende Aufgaben, Harmonie, Rhythmus). Schon jetzt lassen sich viele Varianten aktiven Mitwirkens, „Bausteine“, ablesen, die jedem Schüler eine selbst-verständliche, individuelle Teilhabe ermöglichen. Von der ersten Minute an wird Musik gemacht, weiter entwickelt mit dem, was jeder mitbringt und kann.
Das Spiel mit den Bausteinen lässt sich grenzenlos differenzieren. Am Ende hat nicht nur jeder Schüler viele Spielarten erfolgreich erprobt, sondern außerdem gelernt, für sich selbst zu wählen: Er weiß, was er (gerne) tut.
... und Menschen mit Behinderung? Noch einmal: Jeder Mensch kann selbst-verständlich Musik machen – wenn ihm Wege angeboten werden. Ist dies nicht Antwort genug?
- Christiane Joost-Plate
Robert Wagner, ausgezeichnet mit dem Musik-Förderpreis InTakt der Miriam-Stiftung, bei einem Konzert der Musikschule Fürth. Foto: Britta Lezius
Artikel aus "Neue Westfälische" vom 11. Februar 2009
Wunderbarste Klänge
"Los Krawallos" machen Musik mit Tassen, Milchkannen, Wurzeln oder Orgelpfeifen / Sonderpreis von Karin Prignitz
Sennestadt. „Mensch, wo ist die Zeit geblieben? Kinder, ist das schon lange her. Schön war das", ruft Jörg Wagener und schlägt sich lachend auf die Knie. Der Eckardtsheimer gehört zur Gruppe von Percussion-Musikern, die Ende vergangenen Jahres in Dortmund mit dem Sonderpreis der Miriam-Stiftung (siehe Kasten) ausgezeichnet worden sind. Gelobt wurden Originalität und Integration.
„Los Krawallos" nennen sich die Spieler, denen es mit Hilfe von Schlagzeuger Olaf Pyras und von Pastorin Nicole Frommann gelingt, allen möglichen Instrumenten oder Dingen, die sie kurzerhand dazu umfunktionieren, Töne zu entlocken. Auf Milchkannen haben sie gespielt, auf Wurzeln aus dem Garten, die plötzlich zur afrikanischen „Talking-Drum" wurden, auf Tassen und mit Rührlöffeln. Oder sie haben Orgelpfeifen und Metallstreben die wunderbarsten barsten Klänge entlockt.
Die Liebe zu Klängen und Geräuschen eint die Mitglieder mit den so unterschiedlichen körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen. In der Probenarbeit könne man „viel mehr entdecken, als man sich ausdenken würde", beschreibt Nicole Frommann, die für die Koordination und den Zusammenhalt zuständig ist und selbst mitspielt, den oft überraschenden Moment.
Für Projektleiter Olaf Pyras aus Kassel ist es „eine ästhetische Erfahrung, wenn es gelingt, mit so unterschiedlichen Menschen konzentriert auf den Punkt zu kommen. Dieses unbedingte Hier und Jetzt ermöglicht eine unglaublich feine Arbeit". Stärken und Schwächen würden zu einem großen Ganzen vereint. Ausstrahlung und Intensität machten die Gruppe aus.
„Das war schön mit dir", bestätigt Jörg Wagener, und Pau Hopp ist ganz nah an Olaf Pyras herangerückt. „Musik machen so wie sie entsteht", sagt Nicole Frommann, sei der Ansatz. „Meistens wird das gut und originell", und es komme immer genau das dabei heraus, „was das Ensemble gerade will".
In Berlin auf dem Gendarmenmarkt sind die „Los Krawallos" die, anders, als es der Name vermuten lässt, auch leise Spieler können, aufgetreten. Das Land Nordrhein-Westfalen haben sie anlässlich des 60. Geburtstages trommelnd in Düsseldorf vertreten. Und natürlich waren sie auch beim Projekt „Eck-Art-sheim wird ver-rückt" zum 125-jährigen Bestehen der Ortschaft mit ihrer Karawanenmusik dabei.
Stets ergänzt sich das Ensemble dabei so, dass staunenswerte Rhythmen entstehen. „Der Preis ist eine zusätzliche Wertschätzung", sagt Nicole Frommann. Improvisieren, miteinander hören, dem Rhythmus nachspüren und die sich plötzlich auftuenden spannenden Momente aufgreifen, das ist es, was Olaf Pyras mit den „Los Krawallos" praktiziert. „Das ist jedes Mal spannend und man muss jedes Mal hellwach sein."
Gruppendynamik: Zusammen mit Nicoale Frommann (l.)und Olaf Pyras (3.v.r.) spüren Bettina Reker, Stefan Größling, Jörg Wagener, Rudolf Bohnenkamp, Albrecht Gaus und Paul Hopp (v.l.) dem Rhytmus mit unterschiedlich großen Klangschalen nach.
Foto: Karin Prignitz
Selbstbestimmung fördern
Die Miriam-Stiftung möchte mit ihren Aktivitäten dazu beitragen, dass Menschen neu motiviert werden und Zuversicht gewinnen. Die Stiftung erinnert an die im Jahr 1999 verstorbene Miriam, die mit einem Down-Syndrom geboren wurde und im Alter von 21 Jahren an einer Infektion starb. Miriam steht auch für „Menschen in Resignation, in Ausweglosigkeit motivieren". Zu den Stiftungsprojekten gehört die Verleihung des Musik-Förderpreises "InTakt".
Geehrt werden Musikgruppen und -pädagogen, die sich durch besondere musikpädagogische und musikalisch kreative Leistungen auszeichnen und dabei zugleich das Ziel der Integration und der Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen fördern beziehungsweise verwirklichen.
(kap)