Artikel im Magazin L.I.E.S. Nr. 3-2008 des Vereins Lebenshilfe für Menschen mit Behinderung, München, über die miriam-stiftung, Dortmund
Unsere Reihe, in der wir Ihnen Stifterpersönlichkeiten vorstellen, möchten wir in dieser Ausgabe des L.I.E.S. mit einer ganz besonderen Person fortsetzen: Miriam. Ihr Vater Wilhelm Sonnemann beschreibt, wie es dazu kam, dass er zusammen mit seiner Frau Christa Sonnemann die "miriam-stiftung" ins Leben rief.
SELBST ERFAHRENE TRÖSTUNG...
...HILFT ANDERE TRÖSTEN
Ein Freund der Stiftungsgründer-Familie schrieb über Miriam, die Namensgeberin der "miriam-stiftung":
"Sie hieß Miriam, die Bitternis, aber sie war ein Sonnenschein. Sie war mit einem Down-Syndrom behindert, aber sie hatte mehr Herz und Gefühl als viele andere Menschen. Sie war klein im Wuchs, aber groß in der Zuneigung und Empfindsamkeit. Sie hatte ihre Grenzen, aber sie hatte das Größte, was Menschen brauchen und erfahren: Sie wusste sich von Gott, ihren Eltern und Freunden wirklich geliebt. Sie wurde nur 21 Jahre alt, aber sie hat mehr gelebt als viele mit 91 Jahren. Ihr Leben war kurz, aber wesentlich, richtig und intensiv."
Ihre Lebensgeschichte war eine Erfolgsgeschichte besonderer Art: Sie konnte lesen und schreiben, musizieren und basteln, schwimmen und Rad fahren, Ski- und Rollschuhlaufen, in die Stadt fahren und einkaufen, sich behaupten und orientieren. Aber ihre Lebensgeschichte war noch mehr: eine Liebesgeschichte. Auf einem großen Blatt Papier hatte sie - von 35 Herzen umrahmt - die Summe ihres Lebens aufgeschrieben: "Nur die Liebe zählt"! Miriam schrieb mitten in die Herzen die Personen, denen ihre Liebe galt, ihren Eltern, Lehrerinnen und Lehrern, Schülerinnen und Schülern - "Ich liebe meine Klassenkameraden, so wie die sind".
Miriam war ein Wunschkind. Über zehn Jahre hatten Christa und Wilhelm Sonnemann sich ein Kind gewünscht. Nun war Miriam da, am 28.11.1977, aber - mit Down-Syndrom. Christa Sonnemann, bis dahin Stationsschwester auf der Kinderintensivstation des städtischen Krankenhauses, erkannte sofort, was die Ärzte noch nicht gleich sagen wollten. Der Schock saß tief. Die Tränen flossen. Die bange Frage: "Wie werden wir diesem Kind das geben können, was es braucht? Wie wird sich Miriams Leben einmal gestalten?" Christas Mutter arbeitete seit Jahren in einem großen Heim für geistig Behinderte. In der von ihr betreuten Gruppe geistig behinderter Jugendlicher waren auch einige mit DownSyndrom. Doch die Situation dieser Heimbewohner war 1977 eher entmutigend. Viele Fragen und viele Sorgen der Eltern also schon direkt nach der Geburt.
Doch dann stand es für uns als christlich (evangelisch) orientierte Eltern fest: Gott hat uns dieses Kind anvertraut. Wir wollen es so annehmen und es liebevoll nach besten Kräften fördern. Berufliche Möglichkeiten stellten wir zugunsten der Tochter zunächst einmal zurück. Unser Ziel war: Miriam sollte zu einer größtmöglichen Selbständigkeit zu erziehen und zu fördern. Unter ärztlicher Betreuung begannen wir mit Miriam die orthopädischen Turnübungen zur Muskelbildung (nach Vojta). Die Grob- und dann die Feinmotorik wurden trainiert. Austausch und gute Kontakte fand die Familie mit dem Kleinkind in einer Frühfördergruppe, mit Eltern anderer behinderter Kleinkinder. Fachkundige Therapeutinnen betreuten die Kinder, übten mit ihnen und gaben gute Ratschläge. Für Christa Sonnemann stand fest: Miriam soll mal in einen Regel-Kindergarten. Da Miriam keine Geschwister hat, soll sie möglichst viel von anderen nicht behinderten Kindern lernen. Aber welcher Regel-Kindergarten nimmt Behinderte auf? In enger Zusammenarbeit mit dem Verein der "Lebenshilfe" in Dortmund, dem wir uns anschlossen, sowie mit der Frühförderstelle überzeugte die Mutter schließlich einen Kindergarten, zumal die Leiterin auch schon Erfahrungen mit Behinderten hatte. Miriam machte hier enorme Fortschritte, lernte viel durch die Beobachtung anderer Kinder. Alles dauerte zwar etwas länger, aber die Freude über Erreichtes war stets umso größer.
Nach Absolvierung eines Vorschuljahres wurde Miriam mit sieben Jahren in die ein Jahr zuvor gegründete Georgschule (Waldorf-Pädagogik) eingeschult. Neben den überwiegend verhaltensgestörten Kindern war sie in der Schule das einzige Kind mit Down-Syndrom. Doch sie hat hier wacker mitgemacht und mitgehalten. Musische und handwerkliche Aufgaben lagen ihr besonders. Eine Freundin der Familie brachte Miriam die Noten und das Flötespielen bei (erst C-, dann auch F-Flöte), so dass sie danach 12 Jahre lang als vollwertiges Mitglied jede Woche begeistert in einem kirchlichen Flötenkreis mitspielte. Eine Logopädin verhalf der etwas verwaschenen Sprache Miriams zu mehr Deutlichkeit. Der Durchbruch beim Rechnen kam durch spielerische Übungen im Excel-Programm auf dem vom Vater ausrangierten und für Miriam vorbereiteten Computer. Das Gleichgewicht beim Radfahren kam erst - nach vielen Übungen - mit acht Jahren. Aber dann war es drin und Miriams Begeisterung für ihr Fahrrad fand kein Halten mehr. Natürlich fuhr sie von da ab (fast) jeden Tag per Rad zur Schule, und an manch einem Wochenende ging es mit uns Eltern im Münsterland auf große Touren bis zu 50 km Länge. Miriam war stets voll integriert, ob im örtlichen christlichen Jugendkreis, ob im Skiurlaub in den Alpen oder auf Reisen in andere Länder. Auch für das BVB-Fußball-Stadion hatte sie ihre eigene Dauerkarte und ihr Zimmer war schwarzgelb ausstaffiert. Sie war robust und ausdauerstark, selbst wenn in den Bergen mal 500 oder 800 m Höhenunterschied zu überwinden waren. Nachdem sie an der Georgschule den Hauptschulabschluss geschafft hatte, begann im christlichen Jugenddorf (CJD) die Suche nach einem geeigneten Beruf. Auch hier war sie eine der ersten behinderten Jugendlichen, die dort aufgenommen wurden. Die Berufswahl war bereits so gut wie geklärt.
Dann setzte - am 10. Februar 1999 - eine Grippe Miriam außer Gefecht. Da die ärztlich verordneten Mittel nicht halfen, wurde Miriam am Morgen des 11.02.1999 vom Notarzt zur ambulanten Untersuchung ins Krankenhaus eingewiesen. Hier verstarb sie noch am gleichen Nachmittag an den Folgen eines durch den Grippevirus ausgelösten und zunächst nicht erkannten Blutzuckerschocks.
Für uns Eltern war der Tod unserer geliebten Tochter, die so fröhlich und zuversichtlich ihr Leben meisterte, ein noch größerer Schock. Und nicht nur uns. Miriam hatte sich im Laufe ihres kurzen Lebens unzählige Freunde erworben. Hunderte von Menschen zeigten bei der Trauerfeier, wie sehr sie Miriam in ihr Herz geschlossen, wie viel sie von ihr empfangen und wie viel sie mit ihr verloren hatten.
Im Februar 2003, rund vier Jahre nach Miriams Heimgang, beschlossen Miriams Eltern, Christa und Wilhelm Sonnemann, eine gemeinnützige rechtsfähige Stiftung bürgerlichen Rechts, die "miriam-stiftung" mit Sitz in Dortmund, zu gründen. Als Grundstock brachten sie - in einer ersten Stufe - das was sie für Miriams spätere Versorgung bereits angespart hatten, in die Stiftung ein. Die Stiftung wurde im Herbst 2003 in großer Dankbarkeit für die wunderbaren Jahre mit Miriam errichtet. Ein aus drei Personen bestehendes Kuratorium unterstützt und begleitet die Stiftungsarbeit. Eine von Miriam häufig gemalte und verschenkte Blume aus roten Herzen dient als Logo der Stiftung.
Die "miriam-stiftung" verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, kulturelle und mildtätige Zwecke. Sie ist als steuerbegünstigt anerkannt und kann für Spenden steuerliche Zuwendungsbestätigungen ausstellen. Die Stiftung möchte mit dem, was sie von Stiftern und Freunden der Stiftung an Mitteln empfangen hat und weiterhin an Förderung empfängt, andere, die es nötig haben, fördern und motivieren.
Die Stiftungszwecke werden einerseits durch verschiedene konkrete Aktivitäten verwirklicht, zum anderen auch durch schriftliche Beiträge und Informationen im Internet und in Medien, mit denen - entsprechend dem Namen
MIRIAM
Menschen In Resignation
In Ausweglosigkeit Motiviert
werden können.
Beispiele:
- Unter "Trübe Tage" in der InternetHomepage: tröstende und aufrichtende Texte für Trauer, Krankheit, Einsamkeit, also für Zeiten des Lebens, die uns nicht gefallen
- In enger Zusammenarbeit mit der Fakultät "Rehabilitationswissenschaften" der Technischen Universität Dortmund eine jährliche bundesweite Ausschreibung und Vergabe des Förderpreises InTakt der miriam-stiftung für besondere Leistungen in der musikpädagogischen Arbeit von und mit Menschen mit Behinderungen, durch die zugleich Integration gefördert wird. 2008 wird der Preis zum fünften Mal an eine Behinderten-Gruppe vergeben.
- In der Internet-Homepage der Stiftung "Gedanken für den Tag", jeden Tag neu, nachdenklich und aufmunternd
- Zugang zur Bibel im Internet, unter Gottes Wort, in mehreren deutschen Übersetzungen (evang./kath.) und fast 20 weiteren Sprachen
- Unterstützung von "Haus Esperanca" (=Hoffnung) in Osttimor. Dort werden rund 300 Kinder - von langem Bürgerkrieg geschädigt und traumatisiert - betreut, gefördert und für ein Leben ohne Gewalt und Hass zugerüstet.
Die "miriam-stiftung" ist eine sehr kleine und noch ganz junge Stiftung, mit keinem großen Kapital. Sie kann leider keine Fördergelder verteilen. Stattdessen möchte sie an einigen Stellen ganz konkret helfen und zum anderen Gedanken der Liebe und Zuversicht verbreiten. Sie möchte Menschen in schweren Situationen motivieren, neu Mut zu fassen. Und das entsprechend Miriams Taufspruch: "Lass Dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig"
Weitere Informationen: www.miriam-stiftung.de