Aus Neue Musik Zeitung 2007/02
Von der Leichtigkeit künstlerischer Ideen
Zum dritten Mal: Verleihung des Förderpreises InTakt
Musik hat das Leben ihrer Tochter bereichert – das wissen Christa und Wilhelm Sonnemann. Miriam, geboren mit Down-Syndrom, entwickelte früh die Liebe zur Musik – die Fotos eines fröhlichen Kindes mit Blockflöte zeigen es. „Der Blockflötenkreis war ihre große Liebe“ erinnert sich Frau Sonnemann. Der Umgang mit Musik im Kreis von Gleichgesinnten strukturierte Miriams Leben, ein Leben, das nur 21 Jahre dauern durfte. Das Ehepaar Sonnemann gründete vor drei Jahren die miriam-stiftung, die unter verschiedenen Aspekten Menschen Mut machen möchte – wie dies auf der Homepage nachzulesen ist: www.miriam-stiftung.de
Den Mut zur Musik, den Mut zu kreativen und vorbildlichen Ideen in der musikalischen Arbeit mit Menschen mit Behinderung belohnt die miriam-stiftung ebenso: Ein „Teilbereich“ der Stiftung ist der Förderpreis InTakt. InTakt – das Wort verweist auf das Ganze, das Unversehrte – aber auch auf den Takt der Musik und darauf, dass bei Musik alle Menschen intakt sind.
Mit dem Förderpreis InTakt werden jährlich Gruppen und auch Einzelpersonen ausgezeichnet, die mit Menschen mit Behinderung Musik machen und dabei besondere und beispielhafte Ideen innerhalb der Gruppe und im Sinne der Integration entwickeln. Vergeben wird der Förderpreis durch eine Jury von Musikpädagoginnen und Musikpädagogen. „Wir verorten die musikalische Arbeit mit Menschen mit Behinderung ganz bewusst im Bereich des kulturellen Lebens und nicht im Umfeld der Therapie“, definiert Irmgard Merkt, Professorin für Musikerziehung und Musiktherapie an der Universität Dortmund. „Musik machen, ein Instrument lernen, Teil der Musikkultur sein – was wäre normaler als das? Natürlich“, so ergänzt sie, „müssen methodisch und künstlerisch neue Ideen entwickelt werden. Das ist eine Herausforderung für Pädagoginnen und Pädagogen, für Künstlerinnen und Künstler. Das Grundprinzip, die Kinder bei den Kompetenzen abzuholen, über die sie verfügen, gilt für alle Kinder in gleicher Weise. Wo ist also das Problem?“
Die Probleme liegen, wie so oft, in den Köpfen der Leute. Alte Bilder sind: Es ist schwierig mit den Behinderten. Neue Bilder in die Köpfe zu bringen, das ist ein Ziel des Förderpreises. Bilder von Menschen, die gemeinsam an einem musikalischen Projekt arbeiten. Bilder von Menschen mit unterschiedlichen Ausgangspunkten, die gemeinsam gute und gelungene Situationen erleben. Ein weiteres Ziel des Förderpreises ist es, Anerkennung für bislang geleistete Arbeit auszusprechen. Ausgezeichnet wurden bislang drei Gruppen und drei Einzelpersonen. Der erste Gruppenpreis 2004 – der erste Preis überhaupt – ging an die Gruppe Jolly Jumper aus Emmendingen mit ihrem Leiter Frank Goos. Frank Goos, Musiker, Jazzer, ein zupackender Mensch, hat nicht gezögert, als er gefragt wurde, ob er einem Jungen mit Downsyndrom das Klarinettenspiel beibringen könne. Er hat nicht gesagt „oh, ich bin dafür nicht ausgebildet“, er hat gesagt „ich probier‘s mal“. Das Ergebnis ist eine integrative Musikgruppe, in der Gymnasiastinnen und Jugendliche mit Downsyndrom gemeinsam Musik machen. Die Leichtigkeit künstlerischer Ideen hat am meisten überzeugt: Warum nicht, zum Beispiel, aus „Alice im Wunderland“ vorlesen und das Zusammenklappen von Büchern als Begleitrhythmus benutzen? Eine Gruppe von Menschen, damit beschäftigt, Bücher zuzuklappen – eine Idee, humorvoll und avantgardistisch, eine Idee, die gut zu vervielfältigen ist – und die auf vielen Bühnen der Welt gefällt. Der zweite Gruppenpreis InTakt im Jahr 2005 ging an eine ganze Schulklasse der Schule für Blinde und Sehbehinderte in Chemnitz: Alle Kinder lernen Cello – mit Ergebnissen, die die reine Freude sind, menschlich wie musikalisch. Wie schön man mit acht Celli musikalische Geschichten erzählen kann, das können alle Musiker und Musikpädagogen von dieser Klasse lernen. Mittlerweile haben die „Regenbogenkinder“ mit den Chemnitzer Symphonikern zusammen gespielt. Auch so geht Integration. 2006 ging der Gruppenpreis an die „Kids vom Ring“ der Lebenshilfe aus Kronach. Was geschieht hier an Vorbildlichem, Verbreitungswürdigem? Ein Video der Probenarbeit macht es deutlich: Die Verknüpfung von Singen und Bewegung passiert hier in schöner und inspirierender Weise. Die Geste zum Text – das ist ein altes pädagogisches Mittel, das vielen Schulsituationen gut tun würde. Die Gruppe der Lebenshilfe Kronach – mit Kindern und Jugendlichen aller Altersstufen – hat ein Repertoire von über 100 Liedern. Das würde nur schwer klappen, wenn die Textarbeit reine Kopfarbeit wäre. Das Singen mit dem ganzen Körper, der Zusammenhang von Geste und Text lässt die Arbeit in Kronach überzeugend und heiter aussehen. Wofür wurden die Träger der Einzelpreise ausgezeichnet? 2004 erhielt Gerda Bächli den Einzelpreis für ihr Lebenswerk, für die vielen schönen Lieder und Spielideen, die sie in die Welt gebracht hat, zur Freude aller. 2005 wurde Ulla Klinkhart ausgezeichnet – für ihr Konzept der musikalisch-rhythmischen Arbeit mit Kindern mit Hörbehinderung. 2006 erhielt Horst Kortemeier den Förderpreis – für das künstlerisch-musikalische Konzept seiner langjährigen Arbeit in der Stiftung Eben Ezer in Lemgo. Er baut historische Instrumente nach und musiziert im integrativen „Hausmusikkreis Linde“ einen instrumentalen Stil von zartem Mischklang der historischen Saiten- und Blasinstrumente.
Der Förderpreis InTakt hat an vielen Stellen seine Wirkungen. Im Umfeld der Preisträger natürlich – und auch an der Stelle, an der die Bewerbungen eingehen. Die Bewerbungen um den Förderpreis ergeben einen Überblick über die breit gefächerten musikalischen Aktivitäten mit Menschen mit Behinderung, die in der Bundesrepublik in allen Musiksparten zu finden sind. Wenig Klassik, nicht überraschend, mehr Folk und ganz viel Rock und Pop. Viele Schulbands, Gruppen aus Musikschulen und Einrichtungen der Betreuung und Rehabilitation. Allmählich lohnt es sich, einen Atlas „Musik und Menschen mit Behinderung“ der Bundesrepublik zu erstellen. Zu finden ist dieses Projekt auf der Homepage des Lehrgebietes Musik in der Fakultät Rehabilitationswissenschaften der Universität Dortmund. Es freut sich auf zahlreiche neue Einträge! Ebenso freut sich der Förderpreis InTakt auf neue und interessante Bewerbungen zur Preisvergabe im Herbst 2007 – unter www.miriam-stiftung.de.
Irmgard Merkt