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Förderpreis InTakt 2014

Laudatio
von Frau Prof. Dr. Irmgard Merkt zur Preisverleihung an die Gruppe "Thonkunst" der Diakonie am Thonberg in Leipzig

Der berühmteste Mensch, der mit der Stadt Leipzig in Verbindung gebracht wird, ist zweifellos Johann Sebastian Bach. Er lebte in Leipzig von 1723 bis 1750 und war 27 Jahre lang in einem Doppelberuf tätig. Er war als Thomaskantor verantwortlich für die Musik in den vier Hauptkirchen der Stadt. Gleichzeitig war er zuständig für den Musikunterricht in der Thomasschule. Mit seiner Ernennung musste Bach unterschreiben, dass er die Knaben nicht nur in Music, sondern auch sonst in der Schule geordneter maßen informiere. Und zwar fünf Lateinstunden mit Grammatik, Luthers Katechismus usw. Diesen Unterricht konnte Bach auf andere Lehrer übertragen, die dafür natürlich bezahlt wurden. Den Musikunterricht hatte er allerdings selbst zu geben, als Einzelunterricht oder als Klassenunterricht. Die Knaben der Thomasschule waren Sänger, die im Rahmen der Aufführungen der Bachschen Msuik in der Stadt zur Verfügung stehen mussten und sich so auch etwas Schulgeld verdienten - sie waren vielfach Kinder aus ärmeren Schichten. Übrigens: Bach musste auch die Elternstelle für viele der 55 Thomanerschüler übernehmen und "gegen einen jeden dererselben eine väterliche Affection, Liebe und Sorgfalt zu tragen und mit ihren Fehlern und Gebrechen zwar Gedult zu haben, dabey aber dennoch sie zu äußerlicher Zucht, Ordnung und Gehorsam anzuhalten." Also saß Bach oft mit den Alumni beim Abendessen und er musste aufpassen, dass die Knaben nicht zuviel Quatsch machten. Schülerquatsch damals sah z.B. so aus: Über einer Kerze eine Maus verbrennen und dem Lehrer auf den Stuhl legen.

Es kam, wie es bei der Doppelbelastung von Bach kommen musste: Bald häuften sich die verschiedensten Klagen. Zum einen beklagten sich die Schule, dass Bach dem Unterricht nicht entsprechend nachkomme, zum anderen beklagte sich Bach, dass die Alumni zu schlecht sängen und überhaupt zu wenig könnten, um die Musik zu spielen, die der neuen Zeit und dem neuen Niveau entspräche.

Warum ich das so ausführlich erzähle? Liebes Ensemble Thonkunst: Wären Sie Schülerinnen und Schüler von Bach gewesen, so würden wir heute in der Bachliteratur ganz andere Aussagen finden. In den Veröffentlichungen der Bachforschung würden dann Sätze wie diese stehen: Bach hat sich stets in außerordentlich lobenden Worten über die musikalische Begabung, den Eifer und den Fleiß einiger seiner Alumni, genau gesagt der Alumni des Ensemble Thonkunst geäußert. Bach selbst hätte vielleicht in einem Schreiben an ein Mitglied des Leipziger Magistrats ungefähr Folgendes geschrieben:

Bester, hochgelahrter und hochweiser, insonders hochgeehrter Herr,
die erfreuliche Zeitung, so Dero jüngsthin abgelassenes Schreiben, dass die Alumni Thonkunst durch dero hohe Fürsprach zur Exercierung einer wohlbestallten Kirchenmusik hinzugefüget werden, hält mich mit Euer Excellenc so verbunden, dass ich nichts mehr wünschen möchte, als dass vor so hohes Wohlwollen die Fest- und Sonntagsmusiquen hinkünftig für alle Zeyt mit Euer Hoch-Edlen und Hochweisen Rathe associiert werden mögen.

So war es leider gar nicht - und Bach hatte zeitlebens damit zu kämpfen, genügend und genügend qualifizierte Musikerinnen und Musiker für seine Aufführungen zu haben. Da haben wir es besser: Wir haben heute ein Ensemble bei uns, das allerhöchsten Maßstäben genügt.

Liebe Sängerinnen und Sänger des Ensembles Thonkunst,
es ist uns heute eine Freude, Ihnen den Förderpreis InTakt der miriam-stiftung zu verleihen. Sie lassen mit Ihrer Arbeit eine neue Dimension von A cappella- Gesang im Kontext von Inklusion deutlich werden. Sie bringen nicht nur eine neue Qualität in die Musikkultur, speziell in den A capella-Gesang ein. Sie lassen auch die Vision entstehen, dass irgendwann nicht mehr von Inklusion die Rede sein muss, weil es einfach selbstverständlich geworden ist, dass verschiedene Menschen gemeinsam einfach sehr sehr gute Musik machen.

Herr Leipold, Frau Hellmann, ich darf Sie stellvertretend für das Ensemble nach vorne bitten, um den Förderpreis entgegen zu nehmen.

Laudatio
von Frau Prof. Dr. Irmgard Merkt zur Preisverleihung an Frau Christiane Joost-Plate, Hannover

Mit großer Aufmerksamkeit und großen Augen habe ich zunächst die Dokumentation zum Projekt "Souvenir" gesehen. Als jemand, der selbst das eine oder andere im Bereich musikalischer Projekte angezettelt hat, kam ich aus dem Staunen über die Vielfältigkeit der Projektideen und der musikalischen Ideen nicht hinaus. Mit "Souvenir" ist Dir ein Gesamtkunstwerk von Raum, Klang und Bewegung gelungen, das zweifellos als beispielgebend und im Eindruck überwältigend war und über den entstandenen Film breite Kreise ziehen wird.

Nein, eine Ausruhinkarnation hast Du wahrlich nicht. Du hast den Verein downsyndrom Hannover zu einer wichtigen Anlaufstelle in der ganzen Bundesrepublik gemacht. Dass die Adresse der Geschäftsstelle des Vereins und Deine Privatadresse identisch sind - allein das spricht schon Bände. Du hat das Festival HIS - Hannoversches Inklusives Festival mit aus der Taufe gehoben, Du hast das Thema Musik und Inklusion in nicht nur als Lehrerin in die Musikschule Hannover, sondern auch als Dozentin in die Musikhochschule Hannover gebracht. Du bist in Sachen Fortbildungen unterwegs und auch in Sachen Verband deutscher Musikschulen. Du bist Fachsprecherin für Niedersachsen im Bundesfachauschuss Menschen mit Behinderung an Musikschulen, Du bist in Talkshows und anderen Fernsehsendungen zu sehen. Wie geht das das alles?

Wenn man manchmal aus einer Art Metaebene auf das eigene Leben oder auf das Leben anderer schaut, wird immer wieder deutlich, dass man nicht sagen kann, WARUM das Leben diesen oder jenen Weg genommen hat. Man kann zwar sehen, wie Biographien von außen aussehen, damit meine ich das, was sich aus den bloßen Fakten lesen lässt. Aber was einen im innersten treibt oder zusammenhält, das konnte schon Faust nicht ergründen, und das weiß man ja selber auch nicht immer. Was man aber doch immer wieder erspüren kann, ist ob es jemandem vor allem um die Sache oder vor allem um die Präsentation des Ego geht. Eines ist sicher: Für die meisten Menschen fühlt es sich viel angenehmer und entspannter an, wenn es zu merken ist: Die Sache steht im Vordergrund, die Person im Hintergrund.

Liebe Christiane, Du bist jemand mit unglaublicher Energie und mit großem Ideenreichtum - und ebenso jemand, der immer die Sache in den Vordergrund gestellt hat. Die "Sache" will ich einmal so formulieren: Der Blick auf Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Beeinträchtigung könnte sich im Grunde entspannen - wenn nicht so viele Mitglieder der Gesellschaft noch die Vorstellung hätten, ein Leben mit Beeinträchtigung sei ein permanentes und riesiges Drama für alle Beteiligten. Ja, manchmal ist es ein Drama, aber Dramen gibt es überall. Oft ist es gar kein Drama, sondern einfach schön, besonders und im übertragenen Sinne spirituell. Da kann man in Deiner Arbeit alles sehen.

Gelassenheit und Tiefe strahlen Deine Projekte aus - bei allem äußeren Temperament. Es ist deshalb eine große Freude, Dir heute den Förderpreis InTakt der miriam-stiftung überreichen zu können. Ich bitte Dich, nach vorne zu kommen.