Gedanken für den 27.02.2024

Man sieht nur mit dem Herzen gut

"In einem fernen Lande lebte einst ein König, den am Ende seines Lebens Schwermut befallen hatte. ,Schaut', sprach er ,,ich habe in meinem Leben alles, was nur ein Sterblicher erleben und mit den Sinnen erfassen kann, erfahren, vernommen und geschaut. Nur etwas habe ich nicht schauen können in meinen ganzen Lebensjahren. Gott habe ich nicht gesehen. Ihn wünschte ich noch wahrzunehmen!' Und der König befahl allen Machthabern, Weisen und Priestern, ihm Gott nahezubringen. Schwerste Strafen wurden ihnen angedroht, wenn sie das nicht vermöchten. Der König stellte eine Frist von drei Tagen.

Trauer bemächtigte sich aller Bewohner des königlichen Palastes, und alle erwarteten ihr baldiges Ende. Genau nach Ablauf der dreitägigen Frist um die Mittagsstunde ließ der König sie vor sich rufen. Der Mund der Machthaber, der Weisen und Priester blieb jedoch stumm, und der König war bereit, in seinem Zorn das Todesurteil zu fällen. Da kam ein Hirte vom Feld, der des Königs Befehl vernommen hatte, und sprach: ‚Gestatte mir, o König, dass ich deinen Wunsch erfülle.’ ‚Gut’, entgegnete der König, ‚aber bedenke, dass es um deinen Kopf geht.’ Der Hirte führte den König auf einen freien Platz und wies auf die Sonne. ‚Schau hin’, sprach er. Der König erhob sein Haupt und wollte in die Sonne blicken, aber der Glanz blendete seine Augen, und er senkte den Kopf und schloss die Augen. ‚Aber König, das ist doch nur ein Ding der Schöpfung, ein kleiner Abglanz der Größe Gottes, ein kleines Fünkchen seines strahlenden Feuers. Wie willst du mit deinen schwachen, tränenden Augen Gott schauen? Suche ihn mit anderen Augen!...’"

(Leo Tolstoi)

"Gott wohnt in einem Licht, da niemand zukommen kann, welchen kein Mensch gesehen hat noch sehen kann!"

(l. Timotheus 6,16)

Mit den Augen des Herzens, mit den Augen des Glaubens wollen wir Gott suchen!



Axel Kühner "Überlebensgeschichten für jeden Tag"
© & 1991 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn, 21. Auflage
2018
Mit freundlicher Genehmigung des Verlages
Quelle: www.miriam-stiftung.de