Gedanken für den 07.10.2023
Brücken bauen statt Gräben graben
An einem Fluß wohnten zwei Bauern, der eine am rechten, der andere am linken Ufer.
Die Bauern waren neidisch aufeinander. Wenn sie morgens pflügten, schimpfte der eine, weil sein Feld im Schatten lag, das des Nachbarn aber in der Sonne. Und wenn sie abends Holz hackten, schimpfte der andere, weil sein Haus jetzt im Schatten, das des Nachbarn aber in der Sonne lag. Auch die Frauen der Bauern waren unzufrieden, und eines Morgens, als die eine Wäsche aufhing, schrie sie ein böses Wort ans linke Ufer hinüber, und als sie abends Wäsche abnahm, gab die andere das böse Wort ans rechte Ufer zurück.
Nur mittags, wenn die Sonne hoch am Himmel stand, herrschten Ruhe und Frieden, weil die Bauern mit ihren Frauen unter den Apfelbäumen lagen und schnarchten.
Die beiden Kinder der Bauern aber saßen in der Mittagszeit am Wasser und langweilten sich. Doch eines schönen Tages war der Wasserspiegel gesunken, und aus dem Wasser ragten so viele große Steine, daß die Kinder hinüberhüpfen konnten. Sie trafen in der Mitte zusammen. Sie setzten sich auf einen großen Stein und fingen an, sich Geschichten zu erzählen, und sie hüpften nun jeden Mittag über die Steine, um sich in der Mitte zu treffen.
Die Eltern aber wunderten sich, woher ihre Kinder plötzlich Dinge wußten, von denen sie selbst noch nie gehört hatten. Doch eines Tages, nach einem langen Regen, hörten die Kinder auf, Geschichten zu erzählen, zu lachen, zu singen. Das Wasser im Fluß war wieder angestiegen und die Kinderbrücke verschwunden. Da erfuhren die Eltern endlich das Mittagsgeheimnis ihrer Kinder, und sie fingen an nachzudenken.
Und als sie lange genug nachgedacht hatten, beschlossen sie, zusammen mit ihren Kindern aus den übriggebliebenen Steinen eine Brücke zu bauen.
(Ein tschechisches Märchen)
"Ertragt einer den andern in der Liebe und seid darauf bedacht, zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens!"
(Epheser 4,2f)
Axel Kühner "Hoffen wir das Beste"
© 1997 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn, 9. Auflage
2016
Mit freundlicher Genehmigung des Verlages
Quelle: www.miriam-stiftung.de