Gedanken für den 06.08.2023
Der Habicht und die Schildkröte
Der Habicht und die Schildkröte waren schon seit längerer Zeit befreundet. Eines Tages sagte der Habicht: "Es ist wirklich schlimm, dass du so klein und langsam bist. Wenn zum Beispiel meine Mutter plötzlich sterben würde, könntest du unmöglich rechtzeitig zum Leichenschmaus da sein!" Die Schildkröte antwortete: "In diesem Leben ist der Verstand sehr viel wichtiger als die Kraft und die Größe. Sage mir Bescheid, wenn deine Mutter zu ihren Vorfahren heimkehren wird, und ich werde sogleich bei dir sein."
Der Habicht lächelte, sagte aber nichts. Als kurz darauf seine Mutter starb, schickte er den Geier zur Schildkröte, um sie von dem Trauerfall zu unterrichten. Die Schildkröte dankte für die Botschaft und antwortete: "Fliege zum Habicht und sage ihm, ich käme bald. Komm dann noch einmal her, ich will inzwischen einige Geschenke für ihn zusammenpacken. Solltest du mich dann nicht antreffen, nimm diese Tasche mit, da wird alles drin sein."
Der Geier flog zum Habicht und berichtete ihm, was die Schildkröte gesagt hatte. Der Habicht ließ den Kopf hängen und sagte: "Ach, die Arme kommt bestimmt nicht rechtzeitig. Wenn sie auch sagt, dass im Leben der Verstand wichtiger sei als Kraft und Größe, so weiß ich doch, dass es nur leere Worte sind. Nun möchte ich wenigstens ihre Geschenke sehen. Bringe mir also die Tasche, von der sie zu dir gesprochen hat."
Der Geier flog wieder zur Schildkröte, fand in ihrer Höhle die Tasche und brachte sie dem Habicht. "Siehst du", sagte der Habicht mit traurigem Lächeln, "die Schildkröte ist noch nicht da. Ich wusste, dass sie nicht rechtzeitig kommen würde."
Er hatte noch nicht ganz ausgeredet, als die Schildkröte ihren Kopf aus der Tasche reckte und sagte: "Bist du nun überzeugt, dass der Verstand wichtiger ist als alles andere im Leben?" (Afrikanisches Märchen)
Es gibt Gold und viel Perlen; aber ein Mund, der Vernünftiges redet, ist ein edles Kleinod.
Sprüche 20,15
Axel Kühner "Hoffen wir das Beste"
© 1997 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn, 9. Auflage
2016
Mit freundlicher Genehmigung des Verlages
Quelle: www.miriam-stiftung.de