Gedanken für den 05.07.2023
Wer ist frei?
Der Abgestürzte etwa, der im freien Fall in die Tiefe saust? In keinem Fall ist man frei, aber gepackt von der Angst, denn der Aufprall kommt bestimmt. Ein Mensch, der mit beiden Beinen in der Luft hängt, ist nicht frei.
Töricht fallen die einen, die übermütig den Ast absägen, auf dem sie sicher sitzen. Einen Moment lang genießen sie das Gefühl, fliegen zu können. Um so schmerzlicher landen sie im Dreck der Erde oder auf dem harten Boden der Tatsachen. Wer eine Beziehung, eine Arbeit, seine Heimat, Freunde oder seine Gemeinde verlässt, um frei zu sein, hat sich nur abgeschnitten von Lebensnetzen und ist rausgefallen.
Tragisch fallen die anderen, die sich aus Verzweiflung von einem Hochhaus oder einer Brücke in die Tiefe stürzen. Sie erleben ihre Lebenssituation als so bedrückend und ausweglos, dass sie im Tod die Freiheit und Lösung suchen. Aber die Auflösung des Lebens ist keine Lösung und die Selbsttötung keine Lebensbewältigung.
Eine Frau war nach dem plötzlichen Tod ihres geliebten Mannes so traurig, einsam und verzweifelt, dass sie in ihrem Leben keinen Sinn mehr sah und nur noch sterben wollte. Aber in die verzweifelten Gedanken an einen Selbstmord mischte sich die Einsicht, dass sie dann alle unbewältigte Trauer, allen Verlust, alle unverarbeiteten Schmerzen nur mitnehmen und nicht loswerden würde.
Niemals ist im Tod die Freiheit, sondern nur die äußerste Verhaftung und Verantwortung des Lebens. Denn der Tod führt uns nicht in die Freiheit, sondern direkt zu Gott, der uns nach dem Leben fragt.
Wer sich aus den bewahrenden Händen Gottes herausfallen lässt, findet nicht die Freiheit, sondern die Einsamkeit und Angst. Und das ist kein freier Fall, sondern ein tiefer Fall in die Abgründe des Lebens.
Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen.
Psalm 91,11f
Axel Kühner "Hoffen wir das Beste"
© 1997 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn, 9. Auflage
2016
Mit freundlicher Genehmigung des Verlages
Quelle: www.miriam-stiftung.de