Gedanken für den 15.05.2023

Von der Liebe, die wächst

In einem Land lebte einst ein schönes und kluges Mädchen. Viele angesehene Männer warben um ihre Liebe, doch keiner konnte ihr Herz gewinnen. Eines Tages kamen wieder einmal drei junge Männer, um dem Mädchen ihre Zuneigung zu gestehen. Sie empfing sie höflich, bat sie zu Tisch und fragte sie nach diesem und jenem. Nach einem langen Gespräch sagte sie: "Ich sehe, ihr meint es ehrlich, und ihr seid alle drei liebenswert. Lasst mich eine Aufgabe stellen, an der ich eure Liebe erkennen kann. Ich mag Blumen über die Maßen. Bringt mir jeder die Blumen, die seine Liebe und Treue beschreiben."
"Das wird nicht schwer sein", sagte der eine. "Ich will dir die schönsten Blumen bringen, die es auf der Welt gibt."
"Und ich werde dir nicht nur den schönsten, sondern auch den größten Strauß beschaffen, den du je gesehen hast", versprach der zweite. "Denn meine Liebe ist groß."
Nur der dritte schwieg.
Nach einigen Tagen trafen sie sich wieder im Hause des Mädchens. Der eine hatte einen wunderschönen bunten Strauß, wie ihn selbst das Mädchen noch nie gesehen hatte. Der andere brachte drei Wagenladungen herrlicher Blumen, so dass es im ganzen Haus betörend duftete. Nur der dritte hielt ein einziges Veilchen in seinen Händen.
"Ich sehe, deine Liebe ist prächtig, aber sie wird schnell vergehen", sprach das Mädchen zum ersten. "Deine Liebe ist überwältigend. Doch auch sie verblüht nach wenigen Tagen", wandte sie sich an den zweiten Mann.
"Und ssag, was soll deine Blume?", fragte sie den dritten.
"Meine Liebe, teures Mädchen", verneigte sich der Angesprochene, "ist für andere unscheinbar wie ein Veilchen am Wege. Aber sieh, ich habe es mit den Wurzeln ausgegraben, so dass es wachsen und gedeihen kann. Es wird nicht welken, sondern beständig in deinem Garten blühen und sich vermehren."
Das Mädchen lächelte, reichte dem jungen Mann die Hand und sagte: "Nur Liebe, die beständig ist und wachsen kann, erfüllt das Leben."

Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit!
Kolosser 3,14




Axel Kühner "Hoffen wir das Beste"
© 1997 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn, 9. Auflage
2016
Mit freundlicher Genehmigung des Verlages
Quelle: www.miriam-stiftung.de