Gedanken für den 22.03.2023
Man sieht nur mit dem Herzen gut
Da war ein Mann, für den nur zählte, was er messen, wiegen und zusammenzählen konnte. Er hatte eine Menge Geschäftssinn und verstand Geld zu machen, war aber blind für die "Gaben des Himmels". Er hatte seinen Stall voll Kühe stehen und rechnete mit dem Ertrag ihrer Milch. Darum geriet er in Panik, als er eines Morgens in den Stall kam und keine einzige Kuh mehr einen Tropfen Milch gab. Als sich das wiederholte, legte er sich auf die Lauer.
In der Nacht, als die Sterne immer heller leuchteten, sah er, wie an einer Strickleiter aus geflochtenen Strahlen Mädchen herunterstiegen. Sie gingen singend in den Stall, und jede molk ohne Eimer eine Kuh. Diese Verschwendung machte ihn wütend; er sprang auf die Sternenmädchen zu, um sie zu fangen und zu schlagen. Sie aber kicherten, wichen ihm flink aus, kletterten auf der Strahlenstrickleiter zurück und zogen sie ein. Nur: ein Mädchen hatten sie vergessen. Das packte der Mann an den Haaren und hielt es fest. - Im Morgengrauen verrauchte sein Zorn schnell: Er sah, wie schön es war, und fragte: "Willst du meine Frau werden?" Das Mädchen willigte ein unter einer Bedingung: "Du darfst nie in dieses Körbchen schauen." Jetzt erst sah er das kleine, kunstvoll geflochtene Körbchen. "Ich bin noch nie neugierig gewesen", sagte der Mann, "nie werde ich hineinschauen!"
Monatelang ging es gut. Doch immer öfter, wenn er an dem Körbchen vorbeikam, erwachte seine Neugier, doch einmal hineinzuschauen. Als seine Frau einmal nicht daheim war, hob er den Deckel und schaute hinein: Der Korb war leer!
Schließlich kam seine Frau nach Hause. Sie sagte traurig: "Du hast in das Körbchen geschaut." "Dummes Ding", lachte der Mann, "warum sollte ich nicht hineinschauen? Da ist doch gar nichts drin!" Da sah seine Frau ihn lange an, drehte sich um und ging fort. Sie wurde nie wieder gesehen.
(Nach Käthe Recheis)
Die Frau ging doppelt traurig fort. Einmal, weil ihr Mann sein Versprechen gebrochen hatte. Und mehr noch, weil er das, was im Körbchen lag an Liebe und Treue, Vertrauen und Zuneigung, nicht sehen und nur darüber lachen konnte. Denn das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar. "Man sieht nur mit dem Herzen gut"
(Antoine de Saint-Exupery).
"Jesus Christus habt ihr nicht gesehen und habt ihn doch lieb; und nun glaubt ihr an ihn, obwohl ihr ihn nicht seht; ihr werdet euch aber freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude!"
(1. Petrus 1,8)
Axel Kühner "Hoffen wir das Beste"
© 1997 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn, 9. Auflage
2016
Mit freundlicher Genehmigung des Verlages
Quelle: www.miriam-stiftung.de