Gedanken für den 14.01.2023

Die Kälte, die wärmt

Zwei Nachbarinnen pflanzten in ihren Vorgärten Rosen. Sie hegten und pflegten sie beide und hatten ihre Freude an der Blütenpracht einen ganzen Sommer lang. Dann kam der Herbst. Von den hohen Bäumen im Garten fiel das Laub. Die Rosenstöcke trugen noch letzte Blüten.
"Ihr, meine schönen Rosen, werdet ja ganz schmutzig von all dem alten Laub", sprach die eine. Und sie fegte jeden Tag die Blätter zusammen und trug sie fort. So war ihr Vorgarten blitzsauber, bis der erste Schnee fiel.
Die andere aber schien sich gar nicht zu kümmern. Sie ließ das Laub liegen, sah nur hin und wieder zu den Blüten und sagte: "Bis zum nächsten Sommer, meine Rosen."
Es wurde Winter. Dicke Flocken fielen auf die Erde.
"Der Schnee ist kalt!", klagte die Frau wieder. "Meine Rosen werden frieren." Und sie machte sich daran, den Schnee wegzufegen. Jeden Tag hatte sie viel zu tun. Über ihre Nachbarin wunderte sie sich sehr, die ihre Blumen dem kalten Schnee schutzlos auslieferte.
Dann kam das Frühjahr. Jeden Tag lief sie nach draußen, um nach den ersten Knospen zu sehen, doch die Zweige waren braun und zeigten kein Leben. Auch die Nachbarin kam wieder zu ihrem Rosenbeet. Sie befreite die noch kahlen Zweige vom alten Laub, hackte und beschnitt sie. Bald zeigten sich dort die ersten grünen Spitzen.
Die Rosen der anderen aber blieben kahl. Ihnen hatte der strenge Frost des Winters geschadet. Warum auch hatte sie den wärmenden Schnee weggeräumt?
Die Ordnung des Menschen ist nicht Gottes Ordnung.

Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr.
Jesaja 55,8




Axel Kühner "Hoffen wir das Beste"
© 1997 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn, 9. Auflage
2016
Mit freundlicher Genehmigung des Verlages
Quelle: www.miriam-stiftung.de