Gedanken für den 20.12.2022

Das Opfer

Der junge Landarzt kommt von einer langen Besuchstour nach Hause und findet seinen kleinen Jungen lebensgefährlich erkrankt vor. Sofort versucht er alles, was in seiner Macht steht, um den Jungen zu retten. Er lässt schließlich noch zwei Arztkollegen aus der weit entfernten Stadt kommen. Auch sie tun alles ärztlich Mögliche. Aber sie können den Eltern keine Hoffnung machen. Der Zustand verschlechtert sich stündlich. Und die Eltern sitzen hoffend und betend bei ihrem Kind. Es ist unmittelbar vor Weihnachten, und statt Vorfreude zieht nun eine tiefe Traurigkeit in das Haus ein. Da klopft spätabends noch ein Bauer an die Tür und bittet den Arzt um Hilfe für sein Kind. Zehn Kilometer ist der Mann mit dem Pferdeschlitten gefahren, um den Doktor zu Hilfe zu holen. Doch der Arzt will bei seinem Kind und seiner Frau bleiben. Der Bauer fragt ganz vorsichtig, ob der Arzt dem eigenen Kind noch helfen kann. "Nein", antwortet der Doktor. - "Aber mein Kind könnten Sie noch retten. Kommen Sie doch bitte mit mir. Es ist unser einziges Kind, und wir können keine mehr bekommen. Es ist alles, was wir haben, bitte!" Aber der Arzt will jetzt seine Frau und das Kind nicht allein lassen. "So werden denn zwei Kinder sterben", sagt der Bauer traurig und verlässt das Haus. Der Arzt kämpft einen schweren Kampf, und schließlich fährt er doch mit dem Bauern. Dem kleinen Jungen kann er durch schwierige ärztliche Behandlung in der Nacht helfen, so dass er gesund wird. Als er am Morgen tief erschöpft nach Hause kommt, ist sein Kind tot. Mit seiner Frau zusammen weinen sie lange am Bett des Kindes. Aber in die Trauer über den Verlust des Kindes mischt sich ganz leise der Trost, durch sein Opfer einem anderen Kind das Leben gerettet zu haben.

Gott lieben von ganzem Herzen und seinen Nächsten lieben wie sich selbst, das ist mehr als alle Brandopfer.
Markus 12,33




Axel Kühner "Eine gute Minute, 365 Impulse zum Leben"

© 1994 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn, 11. Auflage

2015

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages

Quelle: www.miriam-stiftung.de