Gedanken für den 15.12.2022

Die Macht des Fehlenden

Otto Funcke erzählt in seinen Lebenserinnerungen, dass er als Junge von zehn Jahren wegen einer schweren Krankheit nicht zur Schule gehen durfte. Er wäre so gerne mit den anderen Kindern gegangen. So beneidete er alle anderen Kinder, wenn sie morgens mit ihren Schultaschen vorüberkamen. Die Kinder beneideten ihn, dass er nicht in die Schule musste, sondern zu Hause bleiben durfte.
So ist es immer: Der Reiche beneidet den Armen, weil ihm das einfache Leben viel besser scheint. Der Arme beneidet den Reichen um all seinen Luxus. Die Ledige beneidet ihre verheiratete Freundin um ihre Familie. Und die Ehefrau und Mutter beneidet die ledige Freundin um ihre Freiheit. Die Putzfrau mit ihrer schweren Dreckarbeit beneidet die kranke Frau, die den ganzen Tag im Bett liegen kann. Und die Patientin im Krankenhaus beneidet die gesunde Putzfrau um ihre Alltagsarbeit.
So hat die Macht des Fehlenden die Menschen im Würgegriff, lässt sie maulen und nörgeln, jammern und neiden, bis wir uns aus dieser teuflischen Macht des Fehlenden erlösen lassen, und uns den Blick für das Gute und Positive unserer Lebenssituation gönnen.

Ich habe gelernt, mir genügen zu lassen, wie ich es finde. Ich kann niedrig sein und kann hoch sein. Ich kann beides: satt sein und hungern, übrig haben und Mangel leiden. Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christus.
Philipper 4,11ff




Axel Kühner "Eine gute Minute, 365 Impulse zum Leben"

© 1994 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn, 11. Auflage

2015

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages

Quelle: www.miriam-stiftung.de