Gedanken für den 18.09.2022

Was ist der Mensch?

In seinen Roman "Krebsstation" hat Solschenyzin eine alte islamische Legende eingeflochten:
Warum wird der Mensch 100 Jahre alt? Allah verteilte das Leben und gab jedem Tier 50 Jahre. Der Mensch kam als letzter an die Reihe, und Allah hatte nur noch 25 Jahre zu vergeben. Der Mensch jammerte: "Das ist mir zu wenig!" - "Na", sagte Allah, "dann mach dich auf den Weg, vielleicht hat jemand von den Tieren ein paar Jahre übrig und gibt sie dir ab." Und der Mensch begegnete dem Pferd. "Na schön", sagte das Pferd, "du kannst 25 Jahre von mir haben." Der Mensch ging weiter und begegnete dem Hund. "Na schön, nimm dir 25", sagte der Hund. Der Mensch traf den Affen. Von dem bekam er auch 25 Jahre. Dann kehrte er zu Allah zurück. Der sagte: "Du hast es selbst gewollt. Die ersten 25 Jahre wirst du wie ein Mensch leben. Die zweiten 25 Jahre wirst du arbeiten wie ein Pferd. Die dritten 25 Jahre wirst du bellen wie ein Hund. Und die letzten 25 Jahre wird man über dich lachen wie über einen Affen!"
Warum tun sich die Menschen so schwer mit ihrer Stellung zwischen Gott und den anderen Kreaturen? Einmal wollen sie sich erheben und an die Stelle Gottes setzen, dann wieder sinken sie auf die Stufe der Tiere herab, werden zum Arbeitstier wie ein Pferd, zum Kläffer wie ein Hund oder zum Tor wie ein Affe.

Was ist der Mensch, dass du, Gott, seiner gedenkst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott. mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt. Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk, alles hast du unter seine Füße getan, Schafe und Rinder allzumal, dazu auch die wilden Tiere.
Psalm 8,5-8




Axel Kühner "Eine gute Minute, 365 Impulse zum Leben"

© 1994 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn, 11. Auflage

2015

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages

Quelle: www.miriam-stiftung.de