Gedanken für den 19.02.2022
Kein Raum für Rache
"Wenn wir uns mal streiten", erzählt ein Mann seinem Freund, "wird meine Frau immer gleich historisch." - "Du meinst hysterisch", wirft der Freund ein. "Nein, historisch", sagt der Ehemann, ‚sie hält mir jeden Fehler, jede Lieblosigkeit, jedes falsche Wort aus zehn Jahren Ehe vor!"
Wo Menschen miteinander leben in Ehe, Familie, Nachbarschaft und Gemeinde, werden sie auch aneinander schuldig. Gerade in der Liebe werden Menschen verletzlich und verletzt. Es gibt keine Ehe, keine Erziehung, keine Familie ohne Kränkung und Verletzung. Das war damals bei Josef und seiner großen Familie so, und das ist heute bei uns und unseren kleinen Familien so.
Die Brüder des Josef sind wie gelähmt in ihrer Furcht vor den Folgen ihrer Bosheiten. Sie fürchten, da der Vater gestorben ist, die Rache und Vergeltung des Josef. Aber Josef wird nicht "historisch" und rechnet ihnen die Bosheiten nicht nach. Josef lässt keinen Raum für Rache und Vergeltung. Dabei wird die Schuld der Brüder nicht verdrängt oder verschwiegen. Nein, sie wird benannt und bekannt. Josef sieht über das Böse nicht hinweg. Aber er sieht über den Untaten der Brüder die Guttaten Gottes. Josef kann Gottes gute Absichten über den bösen Absichten der Brüder erkennen. Darum vergibt er die Schuld und versöhnt sich mit seinen Brüdern. Er vergibt gleichsam die Bewältigung der Schuld an Gott. Josef weiß, wer sich an die Stelle Gottes setzt, sich rächt und anderen vergilt, zerstört sich selbst, den anderen und die Beziehung. Wenn er hingegen die Kränkung, die er empfing, an Gott vergibt, entsteht ein Raum der Heilung. Gott kann die Brüder vom Bösen heilen, ihn vom Gift der Rache befreien und die Beziehung wiederherstellen.
Josef sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes Statt? Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, Gott aber gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk.
1.Mose 50,19f
Axel Kühner "Eine gute Minute, 365 Impulse zum Leben"
© 1994 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn, 11. Auflage
2015
Mit freundlicher Genehmigung des Verlages
Quelle: www.miriam-stiftung.de