Gedanken für den 09.01.2022

Überrascht

Einst lebte ein Zimmermann, den eines Abends auf dem Heimweg ein Freund anhielt und fragte: "mein Bruder, warum bist du so traurig?" - "Wärst du in meiner Lage, du empfändest wie ich", sagte der Zimmermann. "Erkläre dich", sprach der Freund. "Bis morgen früh", sagte der Zimmermann, "muss ich 11.111 Pfund Sägemehl aus Hartholz für den König bereit haben, oder ich werde enthauptet." Der Freund lächelte und legte ihm den Arm um die Schulter. "Mein Freund", sagte er, "sei leichten Herzens. Lass uns essen und trinken und den morgigen Tag vergessen. Der Allmächtige Gott wird, während wir ihm Anbetung zollen, unseretwegen des Kommenden eingedenk sein."
Sie gingen also zu Haus des Zimmermanns, wo sie Frau und Kind in Tränen fanden. Den Tränen ward Einhalt getan durch Essen, Trinken, Reden, Singen, Tanzen und alle sonstige Art und Weise von Gottvertrauen und Güte. Inmitten des Gelächters, fing des Zimmermanns Frau zu weinen an und sagte: "So sollst du denn, mein lieber Mann, in der Morgenfrühe enthauptet werden, und wir alle vergnügen uns indessen und freuen uns an der Güte des Lebens. So steht es also." - "Denke an Gott", sprach der Zimmermann, und der Gottesdienst ging weiter. Die ganze Nacht hindurch feierten sie.
Als Licht das Dunkel durchdrang, und der Tag anbrach, wurde ein jeglicher schweigsam und von Angst und Kummer befallen. Die Diener des Königs kamen und klopften sacht an des Zimmermanns Haustür. Und der Zimmermann sprach: "Jetzt werde ich sterben", und öffnete.
"Zimmermann", sagten sie, "der König ist tot. Mache ihm einen Sarg!" (William Saroyan)

"Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen. Darum sorget nicht für den anderen Morgen, denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe!"
(Matthäus 6f)


Axel Kühner "Eine gute Minute, 365 Impulse zum Leben"

© 1994 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn, 11. Auflage

2015

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages

Quelle: www.miriam-stiftung.de