Gedanken für den 15.08.2021
Wer darf klagen?
Ein Ochse zieht einen großen Wagen. Er hat Mühe, die schwere Last den steilen Weg hinauf zu schaffen. Er spürt, wie die Peitsche ihn antreibt und der schwere Wagen ihn zurückhält. Aber geduldig und klaglos geht der Ochse den Weg voran. Da hört er, wie der Wagen auf dem holprigen Weg und unter der starken Last ächzt und stöhnt, knarrt und knurrt. Immer schwieriger wird der Weg und immer lauter seufzt und klagt der Wagen. Da dreht sich der Ochse herum und sagt zu dem Gefährt: "Sei still, ich ziehe hier die ganze Last und du machst solch ein Gestöhne und Geschrei!"
Wer darf klagen? Nur der Ochse, der die Last zieht, oder auch der Wagen, der den holprigen Weg unter sich und die schwere Last auf sich spürt? Ich denke an eine Mutter und ihr behindertes Kind. Klaglos zieht sie die Mühe und Sorge, Last und Betreuung durch. Das Kind trägt seine Last und ist oft verzweifelt, stöhnt und weint unter den engen Grenzen und starken Schmerzen. Wer darf klagen? Beide, auch die Mutter darf ihr ganzes Weh herausschreien. Und Gott verträgt sie beide.
Ich denke an einen Mann, der seine Frau, nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt, liebevoll pflegt. Er zieht mit letzter Kraft die Pflege durch, klaglos und wie selbstverständlich. Seine Frau ist in ihrer Behinderung manchmal verzweifelt, dann wieder aggressiv und unleidlich. Sie seufzt und stöhnt. Wer darf klagen? Beide, auch der Mann darf seine Grenzen eingestehen und seine Leiden herausbringen. Und Gott hört sie beide in ihrer so unterschiedlichen und doch gemeinsamen Last.
Herr, Gott, mein Heiland, ich schreie Tag und Nacht vor dir!
Psalm 88,2
Axel Kühner "Zuversicht für jeden Tag"
© 2002 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn, 7. Auflage
2017
Mit freundlicher Genehmigung des Verlages
Quelle: www.miriam-stiftung.de