Gedanken für den 27.06.2021
Gehen und Bleiben
Ein riesiger Baum mit einem breiten Blätterdach bot einem müden Wanderer einen schattigen Ort zum Rasten und Ruhen. Der Wandersmann hatte gegessen, getrunken, ein Nickerchen gemacht, und als er seinen Rucksack schulterte, dachte der Baum bei sich: "Der Mann hat es eigentlich gut. Er wandert weiter, lernt andere Orte und Länder kennen. Ich stehe hier schon einige Jahrzehnte am gleichen Ort. Wie die Welt wohl woanders aussieht?"
Und der Wanderer dachte, als er den Stock nahm und seine müden Füße voreinander setzte: "Der Baum hat es eigentlich gut, er hat hier sein Zuhause, muss nicht immer wieder aufbrechen und die Last des Weges spüren. Er ist hier sicher und fest mit der Erde verwachsen!"
Aber der Baum sprach zum Wanderer: "Du bist eigentlich arm dran, musst immer weiter wandern, kommst nirgends zur Ruhe. Schau mich an, ich bin zwar auch in Bewegung, aber ich habe meinen Platz, bin tief verwurzelt und mit allem hier vertraut und eins. Ich habe meine Ruhe und Tiefe, meine Höhe und Weite!"
Und der Wanderer sagte zum Baum: "Du bist eigentlich arm dran, immer am gleichen Ort. Du erlebst nicht die Abenteuer des Aufbruchs, die Abwechslung der Reisen und den Reiz des Neuen!"
So verglichen sich der Baum und der Wanderer, beneideten sich heimlich und verachteten sich öffentlich und beiden tat beides ziemlich weh. Schließlich dachten sie beide, wie dumm es sei, sich schlecht zu reden und besser zu dünken. "Können wir nicht Freunde werden?", fragte der Baum. "Du erzählst mir von deinen Reisen und Wegen, Abenteuern und Erfahrungen, und ich biete dir ein Zuhause, einen Ruheort und erfreue dich mit Weisheiten aus der Tiefe und Früchten aus der Erde!"
So versöhnten sich Wanderer und Baum, hörten mit dem schmerzlichen Vergleichen auf und wurden herzliche Freunde.
Und Jesus setzte zwölf ein, die er auch Apostel nannte, dass sie bei ihm sein sollten und dass er sie aussendete zu predigen.
Markus 3,14
Axel Kühner "Zuversicht für jeden Tag"
© 2002 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn, 7. Auflage
2017
Mit freundlicher Genehmigung des Verlages
Quelle: www.miriam-stiftung.de