Gedanken für den 06.05.2021
Mann und Frau
Am Anfang der Zeit gab es nur zwei Menschen auf der Erde, einen Mann und eine Frau. Sie lebten beide in der Wüste, aber sie wussten nichts voneinander. Der Mann hieß Khoi. Er sah die Tiere der Wüste, die großen und die kleinen, und sah, dass jedes Lebewesen einen Gefährten hatte, nur er nicht, und er merkte, dass er allein war.
Da verwandelte er sich in einen blühenden Strauch. Gleich kamen Schmetterlinge und Bienen geflogen. Sie ließen sich auf den duftenden Blüten nieder und saugten den Nektar heraus. Dann flogen sie fort. Die Sonne ging unter. Khoi wurde wieder ein Mensch, und er war noch immer allein. Traurig legte er sich zum Schlafen nieder.
Als die Sonne aufging, verwandelte Khoi sich in einen Strauch voller reifer Beeren. Da schwirrten Vögel herbei und pickten die Beeren ab. Dann flogen sie davon, und wieder blieb Khoi allein zurück.
Am nächsten Morgen wurde Khoi zu einer schönen, grünen Wiese. Viele Tiere kamen, aber nachdem sie das frische Gras abgeweidet hatten, zogen sie weiter.
Da verwandelte sich Khoi in eine Wasserstelle, und alle Tiere kehrten zu ihm zurück: die Bienen und die Schmetterlinge, die Vögel, die Antilopen, Zebras und Elefanten, ja, selbst der Löwe und die Wüstenmaus! Khoi war glücklich, aber nicht lange, denn sobald die Tiere sich satt getrunken hatten, verließen sie ihn. An diesem Abend konnte Khoi lange nicht einschlafen. Er fühlte sich einsamer als jemals zuvor.
Als er am Morgen erwachte und zur Sonne hinaufblickte, war ihm, als habe sie allen Glanz verloren. Sie erschien ihm klein und ungeheuer fern, und sein eigener Schatten kam ihm winzig vor. Er verwandelte sich in einen Baum mit saftigen roten Früchten, doch weil er unglücklich und verbittert war, bedeckten sich der Stamm und die Äste des Baumes mit langen, spitzen Dornen, und kein Tier konnte die Früchte erreichen.
An diesem Tag wanderte die Frau durch die Wüste. Sie wanderte weiter als sonst und kam in Khois Nähe. Die Sonne brannte heiß, und nirgends gab es Schatten. Die Frau war müde und durstig. Sie erblickte den Baum mit den saftigen roten Früchten, trat hinzu und wollte eine Frucht pflücken, aber die scharfen Dornen verletzten sie. Sie blutete und begann zu weinen. Da hatte Khoi Mitleid mit ihr und ließ zwei, drei Früchte auf die Erde fallen. Die Frau sammelte sie auf und setzte sich unter den Baum. Sie aß die Früchte, und während sie aß, spürte Khoi, wie die Dornen von Stamm und Ästen des Baumes verschwanden. Sein Schatten nahm zu, und die Sonne, sie erschien ihm auf einmal wieder so groß und so schön und so strahlend wie am Tage zuvor.
Es wurde Abend, und die Frau war immer noch da. Die Sonne ging unter, Khoi wurde wieder ein Mensch, und er war nicht mehr allein. (Märchen aus Südafrika)
Und Gott der Herr sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei.
1.Mose 2,18
Axel Kühner "Zuversicht für jeden Tag"
© 2002 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn, 7. Auflage
2017
Mit freundlicher Genehmigung des Verlages
Quelle: www.miriam-stiftung.de