Gedanken für den 29.01.2021
Selbstverliebt
Eine alte Sage erzählt von Narziss, dem schönen Jüngling. Jeden Tag geht er zu einem Teich, um seine Schönheit im Spiegelbild des Wassers zu sehen und sich zu bewundern. Er ist von seiner Schönheit so fasziniert, dass er eines Tages beim Betrachten das Gleichgewicht verliert, in den Teich stürzt und ertrinkt. An jener Stelle im Teich wächst nun eine Blume, die den Namen Narzisse bekommt.
Aber die Sage weiß auch noch einen anderen Schluss, nämlich, dass der Teich nun so traurig war, dass seine Tränen den Süßwassersee in einen Teich aus salzigen Tränen verwandeln. Die Waldfeen fragen den Teich, warum er so sehr weine. "Ich trauere um Narziss!", sagt der Teich. "Ja, das verstehen wir", sagen die Feen, "du warst doch der Einzige, der die Schönheit des Narziss aus nächster Nähe bewundern konnte, wenn er sich täglich in dir beschaute!" - "Wohl weine ich um Narziss, aber dass er so schön war, habe ich nie bemerkt. Ich weine nur darum, weil sich, wenn er sich über mein Wasser beugte, meine Schönheit in seinen Augen spiegelte!"
Wie viele Male haben sich Menschen gar nicht wahrgenommen, weil sie sich so selbstverliebt im andern gesehen haben?
Wie habt ihr das Eitle so lieb und die Lüge so gern!
Psalm 4,3
Axel Kühner "Zuversicht für jeden Tag"
© 2002 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn, 7. Auflage
2017
Mit freundlicher Genehmigung des Verlages
Quelle: www.miriam-stiftung.de